Die gesetzliche Einführung elektronischer Wertpapiere in Deutschland

Endlich erlaubt sogar der deutsche Gesetzgeber elektronische Wertpapiere

Mit Verkündung des Gesetzes zur Einführung elektronischer Wertpapiere (BGBl I, 09.06.2021) hat endlich auch der deutsche Gesetzgeber erkannt: Wertpapiere können faktische seit langem nur mittels der elektronischen Handelssysteme an Börsen in der erforderlichen Sekundenschnelle grenzüberschreitend gehandelt werden. Nur bei elektronischem Handel kann auch den EU-Vorgaben Genüge getan werden. Die Nutzung der Blockchain macht die elektronischen Wertpapiere sicherer als solche in Papierform und zugleich den Handel einfacher nachvollziehbar. Das körperliche Papier ist bei „Wertpapieren“ längst ein überflüssiges Relikt.

Bei börsennotierten Aktien ist das allerdings nach wie vor zwingend. Zwar werden sie ausschließlich in einer beim Zentralverwahrer, der Clearstreambanking International S.A., Frankfurt a.M. hinterlegten Globalurkunde (mit nie ausgefüllten Blankoindossament verbrieft und nicht in Einzelurkunden (der Anspruch auf Einzelverbriefung wird in der Satzung gemäß § 10 Abs. 5 AktG ausgeschlossen). Dennoch hat sich der deutsche Gesetzgeber bislang nicht dazu durchgerungen, auf die Urkunde in Papierform auch bei börsennotierten Aktien zu verzichten. Diese Reform ist überfällig. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass zunehmend internetaffine Unternehmen für ihre Finanzierung zunehmend nur über das Internet ausgegebene Token nutzen.

Das Internet mit seiner „virtuellen“ Welt hat längst auch Kapitalanlagen und Wertpapiere erreicht und diese Herausforderungen sich der Gesetzgeber stellen. Er und die Steuerpflichtigen hätten zudem im Bereich der Besteuerung der Erträge und Veräußerungsgewinne aus Wertpapieren den Vorteil der zuverlässigen und automatisierten, elektronischen Erfassung.

Immer mehr wirtschaftliche Wertschöpfungen und Vermögensbildung finden längst in der virtuellen Welt statt?

Noch interessanter als die rein „verbriefungsmäßige“ Betrachtung ist allerdings die wirtschaftliche Entwicklung:
Computer und vor allem das Internet haben in sehr vielen Unternehmen und besonders auch im Privatleben, vor allem auch in Gestalt der sozialen Medien, eine immer größere Bedeutung gewonnen. Die Digital Natives kennen ein Leben ohne Google, Facebook, Instagram, Twitter und weitere Netzwerke nicht mehr. Diese Entwicklung musste die Welt grundlegend verändern und damit zwangsläufig auch die Welt des Geldes und der Vermögensentstehung.

Vor dem Internetzeitalter standen Großbanken, große Handelsunternehmen, sowie große Produktions- und auch Bauunternehmen an der Spitze der weltweit wertvollsten Unternehmen. Heute sind es Unternehmen, die ihre Geschäfte in der virtuellen Welt machen oder die dazu erforderlichen Instrumente wie Software, sowie die dazu passende Hardware, beispielsweise in Form von Smartphones und Pads, liefern.

An der Spitze der 50 weltweit wertvollsten Unternehmen stehen heute Apple, Microsofft, Amazon, Alphabet (Google) und Facebook. Deren Marktkapitalisierungsvolumina übertreffen inzwischen das jährliche Bruttoinlands einiger Staaten.

Zu den weltweit wertvollsten Unternehmen gehören Apple (Börsenwert 2.420 Mrd. USD), Microsoft (Börsenwert 2.090 Mrd. USD), Amazon (Börsenwert 1.880 Mrd. USD), Alphabet (Google, Börsenwert 1.740 Mrd. USD) und Facebook (Börsenwert 994 Mrd. USD).

Was sind die Quellen dieser enormen Wertschöpfungen und Vermögenswerte?

All diese Unternehmen produzieren keine materiellen Wirtschaftsgüter. Google etwa bietet kostenlos Informationen an und verkauft aus dem Nutzerverhalten gewonnene Daten und Werbung. Gewinne werden häufig mit der Nutzung der Daten und mit Werbung erzielt, bei Unternehmen wie Amazon, Uber und den Reiseportalen durch Vermittlung der Waren und Dienstleistungen anderer Unternehmen. Das 21. Jahrhundert wird in die Wirtschaftsgeschichte als die Zeit der neuartigen, dynamischen Wertschöpfungen in der virtuellen Welt eingehen.

Die Kapitalanlagemöglichkeiten und -medien werden sich mit der Verlagerung der Wertschöpfungskomponenten verändern. Vermutlich schneller als wir uns vorstellen können könnte die jahrhundertelange Bedeutung von Gold, Silber und anderen Edelmetalle als sichere Mittel der Geldanlage zurückgehen.

Bisher verhalten sich die Gesetzgeber der meisten Wirtschaftsnationen weitestgehend passiv. Sie fördern die Entwicklung nicht, sie greifen auch nicht sinnvoll regulierend, sondern eher marginal ein.

Kryptowährungen und Token als neue Formen virtueller Zahlungsmittel und Geldanlagen

So sind längst in Form der Kryptowährungen Zahlungsmittel und Geldanlagen in der virtuellen Welt entstanden. Token werden immer öfter statt Wertpapieren und Verträgen in den Märkten platziert. Auch der deutsche Gesetzgeber hat sich mit Token bislang nicht beschäftigt. Nur die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht versucht eine pragmatische Vorgehensweise. Wer Wertpapiertoken ausgibt, benötigt wie bei „normalen“ Wertpapieren einen Emissionsprospekt.

Eine neue Form des Zahlungsmittels und zugleich der Geldanlage sind manche Kryptowährungen. Die bekannteste davon, der Bitcoin, kostete im Jahr 2010 nur 0,08 Cent. Der im Jahr 2021 erreichte Höchstkurs lag bei über 50.000 Euro. Hinter dem Bitcoin stehen keine realen Werte. Trotzdem vertrauen immer mehr Menschen darauf, dass er einen Wert hat und dass dieser noch erheblich steigen wird. Damit hat er sich gerade in Zeiten der Nullzinspolitik als Mittel der Geldanlage etabliert. Neben dem Bitcoin gibt es andere Kryptonwährungen wie zum Beispiel den Ethereum, Cardano, oder den Binance-Coin. Dabei haben sich inzwischen etliche Anwendungsfelder bei den jeweiligen Kryptowährungen entwickelt, die verschiedenste Bereiche der virtuellen und inzwischen auch der analogen Welt einbeziehen.

Die entscheidende Frage ist: Woher kommt die bei Kryptowährungen in der virtuellen Welt entstehende Wertschöpfung?

Wie allem Neuen, so begegneten die Akteure der etablierten Finanzwelt den Kryptowährungen und ihrem rasanten Wertanstieg mit großer Skepsis. Es erschien schwer vorstellbar, dass ein nur über die Blockchain abgebildetes, digitales Zahlungsmittel (Vermögenswert / Asset), tatsächlich einen Wert verkörpert, der so stark gestiegen ist? Ist das nicht nur eine Scheinwelt, eine Blase?

Das ist trotz der starken Volatilitäten nicht so. Kryptowährungen werden immer größere Bedeutung also werthaltig Tauschmittel für Güter und Dienstleistungen haben. Diese gilt gerade dort, wo immer mehr Wertschöpfung stattfindet: Im Internet.

Vergleicht man sie mit Bargeld, dann ist es nicht neu, dass der Wert eines Zahlungsmittels – anders als bei Münzen aus Edelmetallen – nicht im Zahlungsmittel selbst liegt, sondern im Vertrauen, mit diesem Güter und Dienstleistungen dauerhaft erwerben zu können. Derzeit ist das Vertrauen in die staatlichen Währungen, deren Werthaltigkeit die Staaten garantieren, bei den meisten Bürgern noch vorhanden. Angesichts der horrend hohen Verschuldungen der allermeisten westlichen Industrienationen und der USA, kann das Vertrauen sehr schnell schwinden.

Der Wert von Kryptonwährungen beruht auch darauf, dass bislang die Staaten und ihre Regierungen keinen Einfluss darauf haben. Je mehr Unternehmen oder gar ganze Staaten einzelne Kryptowährungen als Zahlungsmittel akzeptieren bzw. einführen, umso größer wird die Bedeutung dieser Währungen. Rein internetbasiert, können einzelne Staaten sie nicht erfolgreich verbieten. Der weitere wirtschaftliche Siegeszug der Kryptowährungen ist nicht aufzuhalten.

Fazit:

  • Die Gesetzgeber hinken den Entwicklungen, dass in der virtuellen Welt zunehmen Mittel der Unternehmensfinanzierung (Token) und Zahlungs- und Geldanlagevehikel (Kryptowährungen entstehen) hinterher.
  • Das in Deutschland endlich vom Gesetzgeber erlaubte, rein elektronische Wertpapier war überfällig, sollte aber erst der Anfang der Modernisierung sein. Es sollte schnell die Möglichkeit geschaffen werden, generell Aktienurkunden einschließlich der Globalurkunde bei börsennotierten Wertpapieren durch ein elektronisches Wertpapier zu ersetzen.
  • Token und Kryptowährungen sind inzwischen aus der Internetwelt nicht mehr wegzudenken. Die deutsche Politik sollten diese Entwicklung positiv begleiten. Gesetzliche Regulierungen sollten die Rahmenbedingungen in Deutschland als bisher kaum genutzten Standort für Unternehmen, die Token und Kryptowährungen ausgeben, verbessern. Jede unnötige Bürokratisierung würde Deutschland nur weiter zurückwerfen.

Univ. Prof. Dr. jur. habil. Karl-Georg Loritz