Die Vermögensteuer – Verfassungswidrig und schädlich für Unternehmen und Privatvermögen

Korona hat auch in Deutschland zu einer enormen Erhöhung der Staatsausgaben und damit der Staatsverschuldung geführt. In den Wahlprogrammen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke findet sich deshalb die Forderung nach Wiedereinführung der Vermögensteuer. Die Linke fordert zusätzlich eine einmalige, in Raten zahlbaren Vermögensabgabe für Vermögen ab 2 Millionen €, von 10 % auf 30 % ansteigend.

Die verfassungsrechtlichen Fragen werden vernachlässigt

Der 2.Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat mit seinem Beschluss vom 22.06.1995 – 2 BvL 37/9 – die damalige Vermögensteuer wegen der ungleichen Bewertung der verschiedenen Vermögensgegenstände für verfassungswidrig erklärt. Zugleich enthält die Entscheidung wichtige Aussagen zu den verfassungsrechtlichen Grenzen einer Steuer auf den Vermögensbestand. Der ruhende Bestand des Vermögens, so das BVerfG, könne Anknüpfungspunkt für eine Steuerbelastung sein. Bei einem einheitlichen Steuersatz müsse die Bemessungsgrundlagen auf die Ertragsfähigkeit wirtschaftlichen Einheiten sachgerecht bezogen sein und deren Werte in der Relation realitätsgerecht abbilden. Wegen des Eingriffs in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und die persönliche Entfaltung im vermögensrechtlichen Bereich, der bekanntlich dem Schutz der Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) unterliegt, hat das BVerfG dem Gesetzgeber Grenzen gesetzt. Angesichts der Vorbelastung des Vermögens durch Steuern auf Einkommen und Ertrag und zumeist auch durch indirekte Steuern, dürfe die Vermögensteuer nur so bemessen werden, dass sie die Substanz des Vermögens, den Vermögensstamm, unberührt lasse. Sie müsse aus den üblicherweise zu erwartenden möglichen Erträgen (Sollerträgen) bezahlt werden können. Die wirtschaftliche Grundlage persönlicher Lebensführung müsse gegen eine Sollertragsteuer abgeschirmt werden.

Verfassungswidrig waren die unterschiedlichen Bewertungsansätze, u.a. für Grundvermögen, Unternehmensvermögen und Geld- und Wertpapiervermögen. Bezeichnenderweise ist dem Gesetzgeber bislang in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie für Substanzsteuern, auch für die Erbschafts- und für die Grundsteuer eine verfassungskonforme Bewertung gelungen. Die für die Erbschaft-/Schenkungsteuer in der jeweiligen Gesetzesfassung geltende Bewertung hat das BVerfG in drei Entscheidungen als verfassungswidrig verworfen (BVerfG vom 22.06.1995 – 2 BvR 552/91; vom 7.11.2006 – 1 BvL 10/02; vom 17.12.2014 -1 BvL 21/12). Gleiches geschah bezüglich der für die Grundsteuer geltende Bewertung in der Entscheidung vom 10.4.2018 (1 BvL 11/14, 1 BvL 12/14, 1 BvL 12/!2, 1 BvR 639/11, 1 BvR 889/12).

Zwar gehen m.E. manche Maßstäbe des BVerfG, wie z.B. die im Jahr 2014 beanstandete Ausnahme der Kleinunternehmen von der Personalkostenquote an der unternehmerischen Realität vorbei. Doch der Gesetzgeber muss die Maßstäbe befolgen. Eine Bewertung muss insbesondere laufend angepasst werden. Das erfordert nach vorsichtiger Schätzung mehr als 3000 Vollzeitstellen bei zuständigen Landesfinanzverwaltungen. Qualifizierte Steuerfachleute in dieser Zahl fänden die Landesfinanzverwaltungen, auch angesichts der Bezahlung, nicht.

Vor diesem Hintergrund führte die Einführung der Vermögensteuer bzw. die „Wiederbelebung“ des bestehenden, nicht mehr anwendbaren Vermögensteuergesetzes, mit größter Wahrscheinlichkeit zu einem neuerlich verfassungswidrigen Zustand.

Die Vermögensteuer schadet Unternehmen und Privatpersonen

Angesichts des Gesamtsteueraufkommen (Bund und Länder) von über 735 Mrd. Euro im Jahr 2019 und trotz Korona über 682 Mrd. Euro im Jahr 2020, spielten einige Milliarden an Vermögensteuer für das Steueraufkommen nur eine marginale Rolle. Der Schaden für die Wirtschaft und für Privatvermögen wäre gerade in Zeiten der Niedrigzins-/Nullzinsphase immens.

Unternehmen in Branchen wie dem stationären Einzelhandel und dem Hotelgewerbe erwirtschaften in Deutschland seit Jahrzehnten niedrige Umsatzrenditen, nicht selten um 1 Prozent. Die Vermögensteuer zehrte deshalb die Substanz auf. Aus den realen Erträgen kann sie bei vielen Unternehmen nicht erwirtschaftet werden. Viele Unternehmensinhaber wären zur Zahlung der Vermögensteuerlasten für ihre Gesellschaftsanteile auf Ausschüttungen angewiesen. Diese fehlen dann im Unternehmen für die dringend notwendigen Investitionen, falls überhaupt entsprechend hohe Gewinne entstehen. Bei einem Steuersatz von 45 % zuzüglich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer muss beinahe der doppelte Betrag der für die Gesellschaftsanteile von den Anteilseignern zu zahlenden Vermögensteuer ausgeschüttet werden; denn diese ist aus den Nettoerträgen zu bezahlen, weil sie steuerlich bei der Einkommensteuer nicht abzugsfähig ist.

Die Wiedereinführung einer Vermögensteuer in Zeiten der mit „staatlichem Wohlgefallen“ von der europäischen Zentralbank und der US-amerikanischen FED praktisch auf Null gesenkten Zinsen zu verlangen, stellt einen massiven, m.E. verfassungswidrigen Eingriff in das Eigentum der Bürger dar. Auf Festgeld, Rentenpapiere und andere Sparvermögen und auch für neu abgeschlossene Kapitallebensversicherungen gibt es keine Zinsen. Schon für Vermögen ab einigen 100.000 € müssen die Bürger den Banken „Gebühren“ bezahlen. Die Inflation dezimiert die Sparguthaben zusätzlich.

Gleichzeitig hat in den letzten Jahren u.a. diese Nullzinspolitik zum Vorteil der hochverschuldeten Staaten, die für Ihre Anleihen so gut wie keine Zinsen bezahlen, einen massiven Anstieg der Immobilienpreise bewirkt. Das Kapital drängt mangels Ertrag bringender Festgeldanlegen und Rentenpapiere in die Immobilienmärkte. Da für eine Vermögensteuer gemäß der Rechtsprechung des BVerfGs die Verkehrswerte des Immobilienbesitzes als Bemessungsgrundlage heranzuziehen sind, würden selbst kleine Einfamilienhäuser hoch besteuert. Woher soll aber der Eigentümer einer vor Jahrzehnten erworbenen kleinen Doppelhaushälfte in München, die nun einen Verkehrswert von z.B. 1,8 Mio. hat, jährlich 18.000 € (1%) hernehmen? Selbst bei 1 Mio. Euro Freibetrag, der mitunter auch durch zusätzliches Vermögen „verbraucht“ wird, wäre die Belastung erheblich.

Der Vergleich der Schweiz, die eine Vermögensteuer erhebt, ist nicht tragfähig; denn sie bewegt sich im Promillebereich und zahlreiche Kantone und Gemeinde gewähren beachtliche Freibeträge.

Fazit:

  • Die in den Wahlprogrammen von drei Parteien geforderte Wiedereinführung der Vermögensteuer brächte keinen spürbaren Ertrag für den Staatshaushalt. Der Personalaufwand für ihr die Erhebung wäre enorm. M.E. gelänge es nicht, mit einem wirtschaftlich vertretbaren Aufwand eine den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts genügende Bewertung zu vollziehen. Da auch Privatvermögen bewertet werden müssten, käme es zu einem tiefgehenden Eingriff in die Privatsphäre der Bürger. In Zeiten der Nullzinsen ist eine Vermögensteuer substanzverzehrend.
  • Vor dem Hintergrund der hohen Belastung mit Ertragsteuern, Gewerbesteuer und weiteren Steuern machte die Vermögensteuer Deutschland im internationalen Steuerwettbewerb noch ein Stück weniger attraktiv. In einer Zeit, in der ein immer größerer Teil der unternehmerischen Wertschöpfung im „virtuellen Raum“, also in Form von EDV und mittels Internet erfolgt, ist die Standortflexibilität dynamisch gestiegen. Es wäre naiv zu glauben, gerade junge, kreative Unternehmer würden nicht „standort-flexibel“ reagieren und notfalls nach dem Geschäftssitz auch ihren Wohnsitz in Nachbarländern nehmen.
  • Die verfassungsrechtliche und wirtschaftliche Analyse der Vermögensteuer entlarvt sie somit als politisch spektakuläre und aller Voraussicht nach verfassungswidrige Fehlkonstruktion.

Univ. Prof. Dr. jur. habil. Karl-Georg Loritz